Die 38-jährige Schauspielerin Eleonora nimmt, trotz vielerlei Bedenken, den 20 Jahre jüngeren Musikstudenten Chirú als Schüler an. Sie soll ihm beim Start ins Leben helfen und ihn drüber hinaus in die Künstlerwelt einführen. Chirú ist nicht Eleonoras erster Schüler. Während die Grenzen zwischen Lehrerin und Schüler bei den Vorgängern allerdings klar waren, verschwimmen sie nun allmählich. Wer lehrt wen das Leben und alle Zwischentöne darin? Im Spiel um subtile Macht und Ohnmacht, um Liebe, Abhängigkeit und Unabhängigkeit und nicht zuletzt um emotionale Manipulation beginnt sich Eleonora zu erinnern, woher sie kam und welche Rolle ihr Lehrer zurzeit ihres Aufbruchs gespielt hat.
Leser müssen den artifiziellen Umgang mit Emotionen und Szenerien gespeist aus Andeutungen schon mögen, um Autorin Murgia neustes Buch – im Deutschen ist sie bekannt geworden durch ihren Bestseller „Accabadora“ – genießen zu können. Die Autorin webt in ihrem Roman über Eleonora und ihrem Schützling ein atmosphärisch dichtes Netz. Kunstvoll schmiedet sie die Brücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Manchmal ist Eleonoras Vergangenheit, die nur allzu oft Andeutung bleibt, sehr viel interessanter als ihre Gegenwart mit Chirú.
Die anfänglich fehlende Begeisterung der gestandenen Frau für den heißblütigen Jungspund wandelt sich mit Fortschreiten der Geschichte. Die Ältere erliegt letztlich dem Jüngeren. Murgia gibt dem Leser keine Chance zu verstehen warum eigentlich. Der Schüler erscheint am Ende des Romans so jünglinghaft-unbedarft und arrogant-unsympathisch wie zu Beginn. Hinnehmen muss der Leser außerdem, dass es in Eleonoras Kreisen offensichtlich normal ist, einen fachfremden Privatschüler anzunehmen und ihn, wie auch immer, zu begleiten. Möglichweise ist dieses Modell das Äquivalent zum Mentor/Mentee-Verhältnis in unseren Breitengraden.
Beinah jedem ihrer Sätze und jeder Handlungsweise der Protagonisten verleiht Murgia Bedeutung. Bei dieser Inflation von Bedeutungen und Gewichtigkeiten gehen viele wirklich kluge Sätze oftmals unter. Mehr Luft zwischen den Sätzen und Leichtigkeit beim Inhalt wäre schön gewesen. Luft und Leichtigkeit hätten auch so manche Szene vor ihrem pathetischen Verlauf gerettet. Einer Theaterschauspielerin sicherlich angemessen gerät nämlich so mancher Romanmoment recht dramatisch und droht ins Lächerliche zu kippen. Das erinnert an Schwarzweiß-Klassiker – irgendwie nett, aber durch das Theatrale heute nicht mehr ganz ernst zu nehmen.
3 von 5 Punkten