„Die zwei Regeln meines Vaters. Führe ein Tagebuch. Sorge dich um die Hofstange.“ An diese Regeln wird sich Jasper Honigbrod auf die eine oder andere Weise bis in sein Erwachsenwerden hinein halten. Der Roman beginnt mit Jaspers sechstem Geburtstag – der Tag, an dem ihm sein Vater diese beiden Regeln mitgibt und ein Tagebuch schenkt, obwohl der kleinen Jasper noch gar nicht schreiben kann. In der Abgeschiedenheit eines Hofes in der Nähe des – imaginären – Dorfes Pildau wächst Klein-Honigbrod auf. Einzige weitere Mitbewohner: Vater und Großvater. Aus der Zeit gefallen wirken die drei wie sie sich so eingerichtet haben zwischen ihren ganz eigenen Regeln und Alltagsabläufen.
Es gilt etwa den Fisch im Weiher zu füttern, den der Großvater einst dort hineingesetzt und den schon lange keiner mehr leibhaftig gesehen hat, den Mangold zu pflegen, aus dem die Mahlzeiten der kleinen Familie bereitet werden und natürlich kümmert man sich sorgfältig um die Hofstange – Scharniggs skurriler Beitrag zur (bayerischen) Heiligenverehrung. Eine ganze Historie strickt er um dieses erfundene Brauchtum. Außer Lene-Mama, die manchmal zu Besuch kommt und auf seltsame Weise die Lebensgefährtin von Vater Honigbrod ist, hat schon lange kein weibliches Wesen mehr den Hof betreten. Bis durch einen unglücklichen Umstand die kleine Lada auf dem Hof landet. Sie wird es sein, die vor allem Jaspers bis dahin nahezu gleichmäßigen Lebensstrom durcheinanderbringt.
Was es mit Lada, der Name stammt von eben dieser Automarke, auf sich hat, wie der Großvater zum Hof kam und warum sein Sohn, ehemals aufstrebender Professor in England, wieder bei ihm wohnt, erzählt Scharnigg mit leichter Hand. Auch Lene-Mamas Geschichte findet ihren Platz in der Erzählung. Sein Roman entfaltet dicht unter der Oberfläche eine zauberhafte Wirkung. All die Einfälle und Kuriositäten könnten real sein, wenn Scharnigg sie nicht immer wieder sanft ein Stück aus der Realität in die Fiktion schieben würde. Über die bitteren Momente webt der Autor sein Netz aus feiner Erzählkunst. So sind sie erträglich zu lesen und treffen doch bis ins Mark. Scharnigg lässt den Vater eines Tages zu Jasper sagen „Schwöre mir, dass du Mittelmäßigkeit den anderen überlässt.“ Als hätte Max Scharnigg selbst den Schwur geleistet.
4 von 5 Punkten